Mittwoch, 16. Februar 2011

james blake

Wucht und Verletzlichkeit

Auf seinem Débutalbum präsentiert James Blake seinen verinnerlichten Dubstep

James Blake, ein Wunderkind der Dubstep-Szene. (Bild: PD)Zoom
James Blake, ein Wunderkind der Dubstep-Szene. (Bild: PD)
Aram Lintzel ⋅ Jede Musik hat ihren eigenen Mythos. Das ist auch bei Dubstep so, gilt diese relativ neue Musikrichtung doch gemeinhin als Manifestation jenes gleichsam metaphysischen Basses, der von Acid House über Drum'n'Bass und UK-Garage bis heute in immer neuen Verwandlungen durch die britische Klubmusik schleicht. Der Musiktheoretiker Simon Reynolds taufte dieses seltsame Etwas einst das «Hardcore-Kontinuum». Dessen allerneueste Variation ist die vieldiskutierte Post-Dubstep-Szene, zu der neben Künstlern wie Mount Kimbie oder Dark Star auch der 23-jährige Londoner James Blake gehört. Im Post-Dubstep werden die massiven Bässe und komplexen Rhythmusstrukturen des Dubstep nur noch in Andeutungen verwendet, sonst lassen sich die Protagonisten wieder auf Songstrukturen mit Pop-Appeal ein, wenn auch oft vorsichtig und zurückhaltend.


«Limit To Your Love»

Spätestens seit seiner gefeierten Interpretation des Feist-Songs «Limit To Your Love» gilt James Blake als eine Art Wunderkind der Szene. Bereits mit sechs Jahren hat er das Klavierspielen erlernt und später am renommierten Goldsmiths College Musik studiert. Kürzlich wurde er von der BBC für den «Sound of 2011»-Preis nominiert (er wurde Zweiter) und zu einer gediegen anmutenden Live-Session ins Radiostudio eingeladen. Nach einigen EP erscheint nun sein Débutalbum, auf dem Blake wie andere Post-Dubstep-Künstler die Codes des herkömmlichen Dubstep in eine sehr private Atmosphäre übersetzt. Die subsonischen Bässe erzeugen hier keine unmittelbaren Überwältigungs-Effekte mehr, sondern dienen als subtil gesetzte Intensitätsspuren dazu, einen Gegenpol zu Blakes zartem und sehnsüchtigem Gesang zu schaffen. Das Album lebt vom Antagonismus zwischen Wucht und Verletzlichkeit, Präsenz und Entzug. Blakes Gestus bewegt sich dabei oft scharf an der Grenze zum Prätentiösen: «Klavierwerke» heisst eine seiner EP vom letzten Jahr, und auf dem Album findet sich ein bezaubernder Song namens «Wilhelms Scream», der nicht nur mit seinem Titel unverkennbar Kunstwillen ausstrahlt.
James Blakes schüchterne Stimme schwebt darin über minimal reduzierten und verhallten Beats, der Song scheint sich um sich selbst zu winden, täuscht so etwas wie Ekstase an, um dann undramatisch in sich zusammenzusacken. Es ist die virtuos gedrechselte Ernsthaftigkeit seiner Musik, die in einschlägigen Internetforen auch kritisch diskutiert wird: Hatte Blake nicht auf seinen früheren Stücken noch deftige R'n'B-Beats gesampelt? Und jetzt? Macht er jetzt etwa eine Musik, die einst in den Intensitäts-Laboren von Londoner Klubs entstand, für ein bürgerliches Sofa-Publikum goutierbar?
Vom gefeierten Wunderkind zum Stigma des Strebers ist es meist ein kurzer Weg. Und Blake dürfte sich dieser Gefahr bewusst sein. In Interviews betont er, dass er sich als Teil des (Post-)Dubstep sieht und nicht in E-Musik-Gefilde abzudriften gedenkt. Trotz der argwöhnisch beobachteten Erweiterung des Bassmusik-Vokabulars und der Hinwendung zu kulturell «höher» codierten Klängen gelingt es James Blake, dann doch nicht wie jemand zu klingen, der es angestrengt auf Schönheitspreise abgesehen hätte. In dem nervös zuckenden «Unluck» albert er mit Auto-Tune-Effekten herum, an anderen Stellen sorgen irritierende Momente ereignisloser Stille oder ein sich wie zufällig anbahnendes Rauschen dafür, dass man als Hörer die Orientierung verliert.

Gespenstisch körperlos

Und obwohl dem Gesang Blakes Leidenschaft für Blues, Soul, Jazz und Singer/Songwriter-Folk anzumerken ist und er sich an Vorbildern wie Nina Simone, Stevie Wonder, Nick Drake oder Antony Hegarty orientiert, versucht er nicht, sich auf die Schultern dieser Riesen zu setzen. Vielmehr schneidet, schichtet und verfremdet er seine Stimme digital derart, dass sie eher gespenstisch körperlos klingt denn wie die leibhaftige Botin einer neuen, womöglich neukonservativen Innerlichkeit. James Blake ist nicht immer Herr im eigenen Haus, entsprechend unsicher, wankend und porös klingen viele seiner – meist in Improvisation entstandenen – Bass-Balladen.
Oft scheint dabei ein einsames, trauriges Ich zu sprechen. «My brother and my sister won't speak to me, but I don't blame them», singt er herzerweichend in «I Never Learnt To Share». Aber wie gesagt, nicht alles ist bei James Blake so ernst gemeint, wie es beim Hörer ankommt. Und womöglich gelingt es James Blake ja mit seiner distanzierten und «uneigentlichen» Haltung, aus dem Schatten des vielbeschworenen «Hardcore-Kontinuums» hinauszutreten und dem Post-Dubstep neue Terrains und Möglichkeiten zu eröffnen. Er ist auf dem besten Weg dorthin.

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